Langer Marsch nach Qamişlo

„Wir sind hier um zu zeigen, dass wir ein Teil der Revolution sind“, sagt Şilan, während sie den Kofferraum des Lautsprecherwagens öffnet, um weitere Fahnen herauszuholen. Şilan ist eine von einigen hundert Jugendlichen, die an diesem sonnigen aber kühlen Donnerstagnachmittag auf der Hauptstraße von Derik/Al-Malikiya Richtung Qamişlo marschieren. So wie auch in vielen anderen Teilen Rojavas findet in dieser Region in diesen Tagen der Meşa Dirêj statt, der Lange Marsch, an dem sich auch Genoss*innen der Internationalistischen Kommune von Rojava beteiligen.

„Biji Berxwedana İmralı!“ hallt es durch die Straßen, als der Protestmarsch am zweiten Tag den Ortsrand von Mabda/Rimêlan erreicht, „es lebe der Widerstand von İmralı“, auf der Gefägnisinsel İmralı sitzt der PKK-Mitbegründer Abdullah Öcalan seit bereits 18 Jahren in Haft.

Organisiert wird der Marsch von der Yekîtiya Ciwanên Rojava (YCR), dem Dachverband der Jugend Rojavas. „Wir sehen es als unsere Aufgabe, dass wir die Jugendlichen auf die Straße bringen, gerade in diesen Tagen“, erklärt Şilan, die selbst in der YCR organisiert ist. Der drohende Krieg im Kanton Afrin und die anstehenden Wahlen für die Räte der Demokratischen Föderation Nordsyrien machten es gerade in der aktuellen Phase notwendig, dass die Jugend sich einmische und eine aktive Rolle in der Gesellschaft einnehme.

Die Organisierung der Jugend durch YCR geschieht wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen von unten nach oben. Auf Ebene der Straßenzüge, Stadtteile, Dörfer und auf den höheren Ebenen baut die Jugend Kommunen, Räte und Komitees auf, um die Interessen der Jugend durchzusetzen. Auch der Meşa Dirêj wird von den Strukturen der YCR organisiert.

Wir marschieren hier auch, um uns die Geschichte unserer Bewegung bewusst zu machen, erklärt Azad, ein anderer Aktivist. In den vergangenen Jahrzehnten habe die Befreiungsbewegung Kurdistans immer wieder Entschlossenheit und Durchhaltevermögen bewiesen, sagt Azad, der Lange Marsch ist in diesem Zusammenhang auch als eine Metapher für diesen Kampf zu sehen. “Wir müssen ein starkes Bewusstsein für diese Geschichte entwickeln”, sagt Azad.

Die Geschichte der kurdischen Freiheitsbewegung beginnt im Ankara der frühen 70er Jahre in der Phase nach dem zweiten Militärputsch. Die Revolten von 1968 haben auch in der Türkei die herrschende Ordnung schwer erschüttert. Vietnam, Angola, Bolivien, Kolumbien – überall auf der Welt, nehmen die Menschen in diesen Tagen den Kampf mit den kolonialen Unterdrückern auf. Inspiriert durch den antikolonialen Kampf dieser Bewegungen formieren sich auch in der Türkei zunehmend Gruppen junger Leute, die bereits sind, gegen die herrschende Ordnung zu kämpfen.

Eine dieser Gruppen bildet sich um drei junge Stundeten herum: Haki Karer, Kemal Pir und Abdullah Öcalan. Es entsteht die Idee, sich unabhängig von der türkischen Linken zu organisieren, und den Kampf für den Sozialismus aus den türkischen Metropolen nach türkisch-Kurdistan zu tragen.

Das Ziel ist der Aufbau einer revolutionären sozialistischen Bewegung in Kurdistan. Öcalan und seine Genoss*innen legen damit den Grundstein für rund vier Jahrzehnte Befreiungskampf in Kurdistan und damit nicht zuletzt auch für die Revolution und das demokratische Experiment in Rojava. Es gehe heute darum, an den Kampfgeist dieser Phase anzuknüpfen, sagt Azad. „Genau das ist die Aufgabe der Jugend, wir stehen da an vorderster Front“.

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