Ein palästinensischer Internationalist in Rojava. Interview mit Baz Sor
Baz Sor kommt aus Palästina und war längere Zeit in der radikalen Linken Frankreichs organisiert. Derzeit arbeitet er als Internationalist am Aufbau der „Internationalen Kommune“ im nordsyrischen Rojava mit.
In Rojava entsteht mit der „Internationalistischen Kommune“ eine neue Institution für Leute, die aus dem Ausland in die Föderation Nordsyrien kommen. Was sind die Ziele dieses Projekts und warum wurde es notwendig? Es gibt doch mit YPG International bereits eine Rekrutierungsstelle für Internationalisten …
Die Kommune ist natürlich kein Alternativprojekt zu YPG International, sondern eher eine Ergänzung. Was wir aufbauen wollen, ist ein ganzes Dorf, das die erste zivile Akademie für Ausländer in Rojava beherbergen soll. Wenn wir ehrlich sind, ist auf dem Feld des Internationalismus noch viel Arbeit in Rojava zu leisten. Es sind viele wirklich großartige Genossen gekommen und haben ihren Beitrag geleistet: Ivana Hoffmann, Dilsoz Bahar, Rustem Cudi. Viele sind derzeit hier und beteiligen sich in allen Bereichen der Revolution, zivilen wie militärischen. Aber angesichts der Wichtigkeit der Revolution hier, sind es immer noch zu wenige. Wenn wir es mit Spanien 1936 vergleichen, sehen wir, dass die Dimensionen noch viel zu gering sind.
Deshalb wollen wir ein Angebot schaffen, das einen regelmäßigen politischen Austausch ermöglicht. Ich denke, dass viele Menschen in unseren Heimatländern gar nicht wissen, wie viele verschiedene Möglichkeiten es gibt, sich hier zu beteiligen. Die meisten denken: Wenn ich nach Rojava gehe, muss ich mit der Waffe in der Hand kämpfen. Aber das ist nur ein Teil von dem, was es hier zu tun gibt.
Wie sehen die anderen, zivilen Arbeiten aus?
Nun, die Revolution ergreift ja die ganze Gesellschaft und so sind auch die Tätigkeiten recht vielschichtig, bei denen man sich einbringen kann. Man kann in die Jugendstrukturen gehen und sich an der Organisierung von Jugendlichen beteiligen, in deren Räten und Vereinen Erfahrungen sammeln; man kann Pressearbeit leisten in den Medien der Bewegung; man kann in autonomen Frauenstrukturen zu Jineoloji forschen; man kann Landwirtschaftskooperativen mit aufbauen oder, wenn man die notwendigen Sprachkenntnisse hat, auch am Aufbau der arabischen Selbstverwaltungsgremien in den neu befreiten Gebieten helfen. Die Revolution hat viele Möglichkeiten eröffnet, auch eigenen Initiativen, solange sie sinnvoll sind, kann man vorschlagen und umsetzen.
Welche Funktion soll Eure Akademie hier übernehmen?
Zum einen wird sie eine Art Koordinationsstelle für die Internationalist*innen. Es gibt ja jetzt schon viele, die in verschiedenen Bereichen unterwegs sind, mit der Akademie bekommt das alles einen systematischeren Ansatz.
Zum anderen aber ist es wichtig, dass Menschen, die hier ankommen, einen Ort haben, an dem sie sich orientieren können, das Land, das neu für sie ist, kennenlernen können, einen Zugang zu Sprache, Ideologie und Kultur der Bewegung finden. Wir wollen systematische Sprachkurse für Ausländer anbieten, ideologische Bildung und nebenbei gibt es praktische Arbeiten zu erledigen: Den weiteren Aufbau des Camps, dann wollen wir Obst- und Gemüsegärten anlegen, später einen kleinen Wald aufforsten.
Wie sieht die „ideologische Bildung“ aus, von der du sprichst? Welche Inhalte werden unterrichtet?
Es gibt Basics, die immer Teil der Bildung sind: Die Geschichte Kurdistans und seiner revolutionären Parteien zum Beispiel, die Entwicklung der Frauenbewegung in der Region, die Philosophie und Erkenntnistheorie Abdullah Öcalans. Im Rahmen der Delegationsreisen werden Themen abgedeckt, die den konkreten Aufbau hier betreffen: wie funktioniert eine Kommune oder ein Rat? Was für eine Wirtschaftsform schwebt uns in Rojava vor?
Ein wichtiger Part ist Sprache. Ohne das kann man nicht in Nachbarschaften und Familien arbeiten. Das heißt aber nicht, dass jede Person die kommt, schon Kurmanci sprechen muss. Wir bieten auch Anfängerkurse an.
Generell ist es so, dass wir einen entscheidenden Vorteil haben gegenüber dem Leben zuhause: In dem Moment, wo die Leute hier ankommen, sind sie Vollzeitrevolutionäre. Sie müssen nicht jeden Tag um 8 zur Arbeit oder in die Uni, sie haben Zeit. Dementsprechend sind Bildungsveranstaltungen auch keine Nebenbeschäftigungen, die eine Stunde abends stattfinden. Bildung bedeutet, du lernst und diskutierst 8 Stunden am Tag. Das mag für uns aus Europa viel klingen, aber am Ende sagen die meisten: Das war viel zu kurz, ich will noch eine Vertiefung ranhängen.
Was waren Deine persönlichen Motivationen hier her zu kommen? Als Palästinenser bist du ja, soweit ich das beurteilen kann, hier doch eher eine Minderheit bislang …
Ich war mehrere Jahre in Frankreich organisiert und so deckt sich ein Teil meiner Erfahrungen mit denen, die die anderen europäischen Freunde hier haben: Wir müssen unsere Zersprlitterung überwinden, einen Weg finden, das Volk zu erreichen, wir müssen ernsthafter an Organisierungsprozesse herangehen und dafür denke ich, gibt Rojava uns eine Gelegenheit zu lernen.
Als Palästinenser gibt es für mich auch noch andere Motive: Zum einen ging Abdullah Öcalan ja Ende der 70er Jahre, Anfang der 80er Jahre selbst in den Libanon, später nach Syrien und baute dort Akademien auf. Die PKK kämpfte damals auch mit der palästinensischen Linken zusammen. Aber noch wichtiger: Der Demokratische Konföderalismus mit seiner Ablehnung von Staatlichkeit und der Ermöglichung von Selbstverwaltung an der Basis könnte auch für die palästinensische und israelische Linke fruchtbar sein.
In einer Zeit, in der sich alle an den Widersprüchen von Ein-Staaten- und Zwei-Staaten-Lösung abarbeiten, wäre es doch mal etwas neues, eine Kein-Staaten-Lösung vorzuschlagen. Demokratischer Konföderalismus und demokratische Autonomie haben in Rojava schon hervorragende Ergebnisse erzielt, was das Zusammenleben von Volksgruppen angeht, die vorher gegeneinander gekämpft haben. Ich arbeite hier ja wegen meiner Sprachkenntnisse vor allem in arabischen Strukturen. Die Fortschritte dort sind beeindruckend, auch wenn man sagen muss, dass alles natürlich Zeit braucht. Aber wenn man in Rechnung stellt, dass es einen immensen Hass und viele Vorurteile zwischen Kurden und Arabern hier gab, gibt das schon Hoffnung, wenn man sieht, wie ganze Familienverbände beginnen, das neue System anzunehmen. Ich denke, dass die antiimperialistische, antikoloniale Bewegung in Palästina und Israel von diesen Erfahrungen lernen kann.