Vor einigen Tagen besuchten mehrere Mitglieder der internationalistischen Kommune von Rojava die Räumlichkeiten der Asayîş im Nordosten der Region, genauer gesagt in der Stadt Dêrik. Im folgenden berichtet Heval Ronahî von seinen dort gewonnenen Erfahrungen:
„Als wir ankamen, wurden wir von allen Mitgliedern der Basis begrüßt. Uns wurde çay (Tee) angeboten, während wir uns über Alltagsprobleme unterhielten. In der Rêveberî (Verwaltung) trafen wir auf eine Gruppe Frauen der Asayîşa Jin und diejenigen, die für die Stadt verantwortlich sind. Sobald wir mit dem çay fertig waren, begannen wir mit unseren Fragen.
Asayîş ist eine unabhängige Militäreinheit, die 2012 nach der Erklärung Rojavas, sich fortan selbst zu verwalten, gegründet wurde, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Anfangs gab es nur eine allgemeine Asayî, in der Frauen und Männer zusammen arbeiteten, doch 2014 erschufen Frauen ihre eigenen unabhängigen Strukturen, um sich alleine um die gegen Frauen begangenen Verbrechen zu kümmern. Dies ist als ein weiteres Mittel des Empowerments der Frauen von Rojava zu sehen, da sie jetzt selbst für ihre Sicherheit sorgen und nicht weiter von Männern unterdrückt werden.
Die Asayîş sind auf den ersten Blick horizontal angelegt. Alle Abteilungen haben ihr Tekmil (Evaluation), in denen Berichte zur bisherigen Arbeit abgegeben werden, und wo sie sich mit Kritik und Selbstkritik konfrontiert sehen. Die Ergebnisse werden dann zur Rêveberî geschickt, indem sich Vertrauensleute aller Abteilungen treffen. Auf den zweiten Blick ist die Struktur der Asayîş aber auch vertikal, das heißt hierarchisch angelegt. Jede lokale Rêveberî liefert die Ergebnisse des Tekmil an die zentrale Rêveberî, doch nur diese ist letztlich auch befugt, Entscheidungen zu treffen. Um Teil der Asayîş werden zu können, ist es erforderlich, zwischen 18 und 47 Jahren alt zu sein und keinen Eintrag bei den Asayîş zu haben.
Eine andere Frage die uns interessierte, war, was mit Männern geschieht, die Rojava mit der Absicht mehr als eine Frau zu heiraten verlassen und anschließend versuchen, den Asayîş beizutreten, da Polygamie in diesen Gebieten verboten ist. In so einem Fall müsste der Mann seine Ehen annullieren lassen, um beitreten zu können.
Wir fragten ebenfalls, wie es in Sachen Korruption und Machtmissbrauch (zwei recht verbreitete Dinge in westlichen Sicherheitsbehörden) aussieht und ob es eine Abteilung mit der Befugnis gegen so etwas zu ermitteln gibt. Die Antwort war, dass die Leute, die den Einheiten der Asayîş beitreten, dies in der Absicht tun, andere Menschen zu beschützen, es aber leider in der Vergangenheit schon vorgekommen sei und deshalb eine Anti-Korruptionsabteilung ins Leben gerufen wurde.
Asayîş sind nicht in allen Dörfern präsent, erst recht nicht in den kleinsten. Hier sind es die Bewohner selbst, die sich organisieren, um sich gegen Kriminalität zu wappnen und ihre eigenen Probleme lösen, mithilfe der lokalen Selbstverteidigungskräfte HPC (Hêzên Parastina Cewherî – Gesellschaftliche Verteidigungskräfte). Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie bei größeren Anlässen kommen würden. Es handelt sich um eine unabhängige Struktur. Das impliziert, dass, selbst wenn die Umstände es erfordern sollten, sie sich nicht
unbedingt mit anderen Strukturen wie YPJ und YPG absprechen. Die Rêveberî erklärte, dass, seitdem sich diese Regionen selbst verwalten, die Kriminalitätsstatistiken zurückgehen und sie selbst eines Tages überflüssig werden könnte.
Eine weitere Funktion der Asayîş ist die Kontrolle über die „Checkpoints“, die in der ganzen Region bestehen. Eine lustige Anekdote etwa ist, dass, wenn wir trampen, sie immer bereit sind, uns zu helfen und deshalb nach Autos Ausschau halten, die in unsere gewünschte Richtung fahren oder uns zumindest ein Stück weit mitnehmen können. Um ehrlich zu sein, hat mir bei meinem ersten Versuch das Level an Nähe oder Vertrautheit, das die Mitglieder der Asayîş an den Tag legten, stark imponiert.
Nachdem unsere Fragen beantwortet waren, machten wir eine kurze Pause, in welcher wir uns über Politik unterhielten und unsere unterschiedlichen Auffassungen bezüglich Revolution und kapitalistischer Moderne in Europa. Anschließend besuchten wir die verschiedenen Abteilungen in Dêrik.
Die erste davon bekämpft die organisierte Kriminalität. Speziell diese geht vor allem gegen Drogenkartelle vor, die mit der syrischen oder türkischen Regierung in Verbindung stehen. Die meisten Drogen, die nach Rojava gelangen, kommen aus diesen Staaten und diese Asayîş-Abteilung in Dêrik sammelt vorrangig Informationen und hält Ausschau. Außerdem bekämpft sie Banden und Terrororganisationen (insbesondere IS und andere Dschihadisten), um neuen Angriffen zuvorzukommen.
Die zweite von uns besuchte Abteilung war Hawarî. Grob gesagt handelt es sich um eine schnelle Einsatz- und Notfalltruppe. Immer wenn es einen Unfall gibt, Auseinandersetzungen zwischen Familien oder Überflutungen, sind sie die ersten, die auf Notrufe antworten, oftmals aber in Verbindung mit anderen Abteilungen oder Strukturen.
Danach sahen wir uns die Geheimdienstabteilung der Asayîş an, welche dazu da ist, gesuchte Personen zu überwachen, Informationen zu sammeln und verdächtige Neuankömmlinge zu verhören. Diese Abteilung arbeitet oft mit der Abteilung gegen organisierte Kriminalität zusammen, um Undercover-Arbeit innerhalb von Mafiastrukturen zu realisieren. Ihre Arbeit findet mehr auf lokaler Ebene statt und hat mit dem westlichen Verständnis von Geheimdienstarbeit nicht viel zu tun.
Abschließend besuchten wir die Büros der Polîs Traffîk (Verkehrspolizei). Die Mitglieder hier gaben uns einen Einblick in die unterschiedlichen Projekte, die hier stattfinden, wie etwa Kampagnen gegen das Verwenden von Handys am Steuer oder das Benutzen von Sicherheitsgurten. Sie arbeiten aber auch an einem neuen Erziehungssystem zur Sicherheit im Straßenverkehr, oder daran, wie Wiederholungstäter besser geschult werden können. Uns wurde gesagt, dass die Polîs Traffîk dazu befugt ist, Bußgelder an Fahrer zu vergeben, die sich nicht an die Regeln halten oder bei hartnäckigen Fällen sogar den Führerschein entziehen dürfen. Des Weiteren wurde ein Parksystem erwähnt. All diese Maßnahmen zielen darauf ab, die Sicherheit im Verkehr zu verbessern, da die Hauptursache für Tote Verkehrsunfälle sind.
Meine Schlussfolgerung bzgl. der Asayîş ist, dass sie der Polizei von Rojava sehr ähneln, nur unterscheiden sie sich sehr von der Polizei, die wir kennen, da ihre Mitglieder sich wirklich in den Dienst der Bevölkerung stellen und nicht den Interessen der Reichen und Mächtigen dienen. Außerdem sind es Menschen, die die Werte des demokratischen Föderalismus teilen und sogar bereit sind, ihr Leben zum Schutz ihrer Mitmenschen und ihrer Heimat zu geben, und das ist etwas, das wir im Westen nicht haben, wo die meisten Polizisten konservativ oder gar faschistisch eingestellt sind. Aber der größte Unterschied ist der, dass die Polizei in kapitalistischen Staaten das Gewaltmonopol innehat, während die Asayîs-Einheiten sich in erster Linie als Defensivkräfte verstehen, die sich mit den lokalen Selbstverteidigungskräften der HPC abstimmen. Hier sieht man den Einfluss des demokratischen Konföderalismus, welcher danach strebt, die Monopole des Staates zu dezentralisieren (allen voran das Gewaltmonopol) und Alternativen zu erschaffen.“