Der Weg nach Rojava – Ein Weg zurück zur eigenen Geschichte

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Genoss*innen der Internationalistischen Kommune schreiben über die Geschichte des Widerstands in Mitteleuropa und im heutigen Deutschland. Ihre Suche nach dieser fast verlorenen Geschichte ist von der kurdischen Freiheitsbewegung inspiriert. Der Text wurde erstmals im Kurdistan Report veröffentlicht.

Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen / Germany

“Eure Rache für die Geschichte von Kriegen und Vernichtung der Deutschen muss es sein, die Gesellschaft gegen den Kapitalismus und Nationalismus zu organisieren und zu verteidigen”

Viele InternationalistInnen, die ich in Rojava treffe, sind abgegessen von den Kämpfen, aus denen sie kommen. Ihr Glaube an eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft, ob in Frankreich, Spanien, Deutschland oder England, ist nur noch schwach. Und mit diesen Gesellschaften will sich niemand so richtig identifizieren. Doch so einfach ist das nicht: Aufzuhören, Teil einer Gesellschaft und Geschichte zu sein, geht nicht. Dafür sorgt die Revolution schon – und besonders die kurdischen FreundInnen.

Wir sitzen im Schatten mit Tee, Brot, Oliven und Tomaten. Es ist die kurze Pause vom Arbeiten. Die Gespräche kreisen um die Geschichte der Region, die Gesellschaft. Es wird erzählt von der Geschichte der KurdInnen in Rojava, von den letzten Jahren der Revolution, der Zeit des syrischen Regimes unter Baschar al-Assad, wie sich die weltweite Jugendrevolte der 68er-Jahre in Syrien auswirkte. Und noch weiter zurück geht es in der Geschichte des Mittleren Ostens. Von Zarathustra und Mani sprechen die FreundInnen, als ob sie noch unter uns lebten, füllen ihre Gedanken mit neuem Geist. Sie sind Beispiele für einen gesellschaftlichen Widerstand gegen den Dogmatismus im Glauben und gegen die Verherrlichung des Staates.
»Wer seine Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und somit auch nicht die Zukunft gestalten«

Und dann die Frage an uns Deutsche: »Was ist die Geschichte eurer Gesellschaft?« Erst einmal ist Schweigen in unserem Kreis. Wir deutschen InternationalistInnen haben es schwer, über unsere Geschichte zu sprechen. Wir kennen sie zu wenig. Wir werden nach den Şehids, den Gefallenen des Widerstands gegen den Faschismus gefragt. Nach der Revolution von 1848, den Bauernaufständen und HäretikerInnen, nach den GermanInnen und ihrem Widerstand gegen den Imperialismus des Römischen Reichs … Nein, wir wollen nicht nach den GermanInnen gefragt werden. Ich kann es in den Gesichtern lesen, wir wollen nicht Deutsche sein. Wir wollen nicht mit den deutschen Waffenexporten an die Türkei, mit dem deutschen Faschismus, dem Völkermord an den Herero und Nama und dem Holocaust in Verbindung gebracht werden.

Doch wie viel wissen wir über die Zusammenhänge unserer Geschichte? Über die ungeschriebene Geschichte der Besiegten? Ihre Kämpfe und ihren Widerstand gegen Unterdrückung, das Patriarchat, Vertreibung, den Staat und Kapitalismus? Wie hat sich eine staatliche, faschistische Mentalität in der Gesellschaft durchgesetzt?

Unsere kurdischen GenossInnen sagen immer: »Wer seine Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und somit auch nicht die Zukunft gestalten.«

Also müssen auch wir tiefer in unsere Geschichte einsteigen. Verstehen, woher wir kamen, wie wir zu dem geworden sind, was wir sind …

Wenige Tage später sitzen wir wieder zusammen. Ohne Internet und nur mit den Büchern auf unserem E-Book-Reader haben wir uns den großen Fragen gewidmet: »Wer sind wir und aus welcher Geschichte ist unsere heutige Gesellschaft entstanden?« Silvia Federici und Friedrich Engels – das sind unsere ersten Anhaltspunkte. Wir stoßen auf Gesellschaften, die nach kommunalen und kooperativen Werten lebten und wirtschafteten, in denen die Frau eine zentrale Rolle innehatte, in denen alle Personen an wichtigen Entscheidungen, z. B. über Krieg und Frieden, beteiligt waren. Die Orte, an denen die Versammlungen germanischer Stämme abgehalten wurden, hießen Thingstätten. Ja, heute erinnert nur noch die NPD in Grevesmühlen mit ihrem »Thinghaus« als Nazi-Treff an diese Orte …

Wir streiten … Spielt diese alte Geschichte heute überhaupt eine Rolle für uns? Ergibt es Sinn, sich ihr zu widmen und sie als einen Bezugspunkt in der Analyse gesellschaftlicher Veränderungen zu nehmen? Alles scheint so vereinnahmt von nationalistischem Gedankengut und faschistischer Symbolik. Doch alles, was wir in den Büchern von Engels über die germanischen Stämme zu Zeiten des Römischen Reichs lesen, steht im Widerspruch zur Ideologie des deutschen Faschismus. Warum also diese Geschichte den Nazis überlassen? Doch wie haben sich in diesen doch sehr freiheitlichen Gesellschaften hierarchische Strukturen bis hin zu Königreichen, wie dem Frankenreich, und nicht zuletzt Staaten entwickelt?
Eintauchen in die eigene Geschichte

Immer wieder teilen wir das Gelesene mit anderen internationalistischen FreundInnen. Immer wieder stoßen wir auf viele Gemeinsamkeiten in den geschichtlichen Entwicklungen vergangener Gesellschaften in Europa und können Parallelen zur Entwicklung im Mittleren Osten ziehen. Mit französischen Genossinnen diskutierten wir über die Entstehung des Frankenreichs. Es ist das Ergebnis der sich immer weiter ausbreitenden und vertiefenden Herrschaftsstrukturen germanischer Stämme – der Franken – bis zum neuen Imperium, das Rom ablöste. Es war Karl der Große, der den Gesellschaften Mitteleuropas mit Gewalt die neue Ordnung des Christentums und Feudalismus aufzwang. Doch auch gegen diese Gewalt gab es Widerstand. Gerade die Friesen und Sachsen waren es, welche die neue hierarchische Ordnung nicht akzeptierten und an der Idee der Allmende festhielten. Einer Idee, nach der die Güter, welche die Menschen zum Leben brauchen, nicht im Besitz Einzelner sind, sondern im Besitz der Gemeinschaft. Ja, ja, diese Sachsen und Friesen, über die wir uns in Deutschland doch ab und an mal lustig machten. Und dabei knüpfen wir heute auch an ihre Kämpfe an, fordern wir die Vergemeinschaftung der Güter zum Leben, die Wiederbelebung der Allmende.

Mit italienischen Genossinnen diskutieren wir über Federicis Buch »Caliban und die Hexe«, wie sich zu Zeiten der Renaissance die Gesellschaft gegen den dogmatischen Katholizismus wehrte und sich Hunderte, wenn nicht Tausende widerständiger Gruppen von HäretikerInnen bildeten. Sie interpretierten das Christentum auf eine freie und demokratische Weise und kritisierten die Doppelmoral katholischer Priester. Und gleichzeitig wandten sie sich gegen soziale Ungleichheit, Hierarchien und die ökonomische Ausbeutung der BäuerInnen durch den Adel. Dafür wurden viele als Hexen verbrannt, entmündigt, entrechtet. Dies waren die ersten Züge der BäuerInnenaufstände, die im Schulterschluss mit den HäretikerInnen die bestehende Ordnung herausforderten. Federici spricht in diesem Zusammenhang von der »ersten proletarischen Internationalen«, da diese Bewegung nicht an den Grenzen der Fürstentümer und Reiche haltmachte, sondern sich über ganz Europa erstreckte.

»Wir sind des Geyers schwarzer Haufen – Heyah heyoh – Wir wolln mit Pfaff und Adel raufen – Heyah heyoh«. Erinnerungen aus meiner Schulzeit kommen hoch. Die Melodie des Lieds über Florian Geyer klingt noch in meinen Ohren. Es ist ein Lied über die Aufstände der Bundschuh-Bewegung zu Anfang des 14. Jahrhunderts. In Südwestdeutschland organisierten sich Bäuerinnen und Bauern als »Haufen«, kleine bewaffnete Gruppen, die Kirchen und Schlösser niederbrannten und demokratische Strukturen der bäuerlichen Selbstverwaltung aufbauten.

Mechthild von Magdeburg

Und in diese Zeit fällt die Bewegung der Beginen. Frauen, wie Mechthild von Magdeburg, die sich in Gemeinschaften zusammenschlossen, auf der Suche nach einem Leben jenseits von Ehe oder Klostermauern. Sie lebten ein freieres Leben in für alle Frauen offenen Konventen, unabhängig von ihren Ehemännern oder Vätern. Diese Konvente unterstanden keinem anderen Orden oder kirchlicher Hierarchie. Die Frauen wählten ihre Vertreterinnen selbst, arbeiteten oftmals in Kollektiven und legten ihr Geld zusammen. Als gelebte solidarische Gemeinschaften breiteten sich die Beginen schnell über ganz Mitteleuropa aus, besonders im heutigen Holland, Belgien und Deutschland.

Aber interessant sind die Beginen nicht nur für unsere Suche nach den widerständigen Formen des Lebens in Europa. Auch in der Jineolojî in Rojava forschen Frauen über diese Geschichte. Und wie damals werden wieder Dörfer für Frauen aufgebaut. Im Dorf Jinwar leben Frauen autonom von Männern, schaffen sich eigene ökonomische Grundlagen und erlernen wieder gesellschaftliches Wissen z. B. über fast vergessene Heilkunde. Doch was passierte mit den Beginenhöfen in Europa? Im Zuge der Reformation, getragen durch die Ansichten Luthers, dass Frauen ausschließlich zu Hausfrauen und Müttern geschaffen seien und der individuelle ökonomische Erfolg ein Zeichen Gottes für das eigene Ausgewähltsein galt, wurden die letzten Beginenkonvente zur Auflösung gezwungen.

Wir stoßen auf das Buch von Max Weber »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus«, wir lesen die Zweite Verteidigungsschrift von Öcalan über die Entstehung des Kapitalismus … Die protestantische Moral hatte dem ausbeuterischen Kapitalismus in Mitteleuropa nichts mehr entgegenzusetzen – keine Werte, keine Grenzen. Alles wurde möglich, die einzige Rechtfertigung wurde der Profit.

Auf der Playlist von GenossInnen aus England finden wir den Song »Hey ho, nobody home, meat nor drink nor money have I none«. Es ist die Melodie des Kanons »Heho spann den Wagen an« – auch wir kennen es noch aus der Schulzeit. Es ist ein altes Lied aus den ersten Jahren der immer größer werdenden Landlosenbewegung in England. Von ihren Feldern vertrieben und sich nicht abfindend mit dem Leben in Stadt und Fabrik, ziehen immer mehr durch das Land – nicht selten bettelnd und stehlend. Was blieb ihnen auch übrig, akzeptierten sie nicht das Leben in Ausbeutung und Knechtschaft? In Deutschland sind es besonders die Weber und Weberinnen, die sich einen Namen im Widerstand gegen Kapitalismus und Industrialisierung machen – MaschinenstürmerInnen. Sie zerstören ihre Webstühle und proben den Aufstand. »Deutschland, wir weben dein Leichentuch«, summen wir die nächsten Tage beim Arbeiten. Es ist die Vertonung des Gedichts von Heinrich Heine, eine Abrechnung mit der beginnenden Industrialisierung und der Monarchie.

Räterepubliken gründen

Amalie Struve

Und was hätte aus diesem alten Reich werden können? So viele setzten ihre Hoffnungen in ein geeintes Deutschland. Die Vereinigung und Identität der Menschen auf der Basis von Rechten und Freiheiten und nicht Leibeigenschaft und Knechtschaft. Doch musste daraus der deutsche Nationalstaat werden? Alles vereinheitlichend, Nationalismus stiftend, Kolonialismus nach außen und Unterdrückung nach innen im Namen der heiliggesprochenen Nation. Ja, es gab Alternativen, niemals ist etwas alternativlos. Die Badische Revolution entsprang einer dieser alternativen Vorstellungen. RevolutionärInnen wie Gustav Struve, Amalie Struve und Friedrich Hecker standen ein für eine andere Vorstellung von Deutschland, als sozialistische Republik. Beeinflusst von aufklärerischen Gedanken, der jungen sozialistischen Bewegung und traditionellen Formen gesellschaftlichen Lebens. Es ging ihnen um die Befreiung des Individuums, ökonomische Gleichheit und Selbstverwaltung der Gesellschaft in traditionellen Formen – nicht nach Maßstäben der bürgerlichen Demokratie. Doch auch diese kurze Revolution wäre gänzlich aus unserem Bewusstsein verschwunden, würden wir nicht an den gemeinsamen Abenden für unsere Moral das Hecker-Lied singen …

Erich Mühsam

Doch für die jungen SozialistInnen dieser Tage war die Badische Revolution sicher ein Moment des Lernens und Erkennens. Diese Erfahrungen trugen einen Teil dazu bei, dass nur wenige Jahre später in ganz Deutschland Räterepubliken gegründet wurden, in denen die Gesellschaft ihre Zukunft selbst in die Hände nahm. Wieder war eine Zeit gekommen, in welcher der Weg gesellschaftlicher Entwicklungen nicht vorgezeichnet, sondern der Ausgang des Kampfes zwischen radikaler Demokratie und staatlichem Zentralismus noch offen war. Ein Kampf, in dem so viele RevolutionärInnen ihr Leben gaben, bis zuletzt ihre Vorstellung von Freiheit verteidigten. Die Entschlossenheit im Widerstand von Persönlichkeiten wie Erich Mühsam, Anita Augspurg und Kurt Eisner ist durch die Erfahrungen in der Revolution in Rojava vorstellbarer geworden – unsere Klarheit dessen, was es zu verteidigen gilt, gewachsen.

Und nun? Sollen wir weitergehen in dieser Geschichte? Es kommt die Zerschlagung der Räterepubliken mit der Macht des aufstrebenden Faschismus. Diese Macht, die so vieles, wenn nicht alles zerschlug: Parteien, Gewerkschaften, Vertrauen, Hoffnungen. Im Schrecken des Holocaust zerschlug sie sogar den Glauben an die menschliche Fähigkeit, in Frieden zusammenzuleben.

Antifaschistischer Kampf

Gertrud Koch

Auch diese Geschichte zieht ihre Fäden in einer Region, die nur wenige Kilometer entfernt von uns liegt. »Das Vorbild des deutschen Faschismus, ja, das persönliche Vorbild Hitlers waren Atatürk und der Genozid an den ArmenierInnen«, berichten kurdische FreundInnen, die in Bakur, Nordkurdistan, aufgewachsen sind und sich den Verteidigungseinheiten (YPG/YPJ) zur Verteidigung der Stadt Kobanê gegen den Islamischen Staat angeschlossen hatten. »Hitler sah Atatürk als leuchtenden Stern eines nationalistischen Kampfes für die Schaffung einer Nation, die auf einer Sprache, einer Fahne und einem Volk basieren sollte. Und die kurdische Befreiungsbewegung leistet bis heute Widerstand gegen diesen Staat.« Und wo sind die Widerstände gegen den deutschen Faschismus geblieben? Hat es sie nicht gegeben, oder sind sie in der Geschichte – geschrieben durch die Herrschenden – untergegangen? Doch wohl Letzteres. EdelweißpiratInnen, Roter Frontkämpferbund, Roter Frauen- und Mädchenbund, Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition und PartisanInnen sind nur einige der vielen Namen und Organisationen, unter denen sich gegen den deutschen Faschismus organisiert wurde. Und hinter den Organisationen standen Menschen mit Biografien, die wir lesen und verstehen können, Maria Wachter, Georg Elser, Erna Eifler, Wolfgang Abendroth und Gertrud Koch – die Liste könnten wir über viele Tausende von Namen fortführen.

Wir erzählen den kurdischen Freundinnen von der Republik Schwarzenberg, einer kleinen Region im Erzgebirge. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs lag sie für sechs Wochen zwischen den vorrückenden Armeen der Alliierten. AntifaschistInnen in Schwarzenberg warteten nicht, bis die Alliierten kamen, sondern bildeten in den über zwanzig Städten und Dörfern der Region eigene antifaschistische Aktionsausschüsse. Solche antifaschistischen Aktionsausschüsse und Komitees entstanden in vielen Städten des ehemaligen Deutschen Reichs. Nicht selten waren es diese Strukturen des antifaschistischen Widerstands, welche die ersten Verhaftungen von Nazis in den alten Verwaltungen und in Betrieben vornahmen. Sie organisierten die für das Überleben der Menschen notwendigen Funktionen und setzten die Infrastruktur wieder in Gang. Auch waren sie die treibende Kraft in der Organisierung der ArbeiterInnen in neuen Gewerkschaften, die an den sozialistischen Ideen festhielten. Doch im Osten wie auch im Westen bestand kein Interesse, den antifaschistischen Komitees beim Aufbau neuer gesellschaftlicher Strukturen Raum zu lassen.

Schnell schon untersagte die SPD ihren Mitgliedern eine Mitgliedschaft in den Komitees und die KPD versuchte die Komitees in ihren Aufbau einer sozialistischen Einheitspartei zu integrieren. So unterschiedlich die Motive auch waren, eines war gleich: die Durchsetzung eines funktionierenden, zentralistischen Staates und die Entmachtung politischer Selbstorganisierung der Menschen. Wäre der erneute Aufbau sozialistischer Rätestrukturen in einem neuen Deutschland möglich gewesen? Ja.

Wie die konföderalen Strukturen germanischer Stämme in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, die Anfänge der Renaissance und die HäretikerInnen und Bauernaufstände, die Revolutionen von 1848 und die Räterepubliken der Weimarer Zeit war auch die Nachkriegszeit ein historischer Moment, in dem anderes möglich gewesen wäre. Es wäre nicht nur Möglichkeit geblieben, hätten sich die demokratischen, revolutionären Kräfte gegen die Kräfte und die Ideologie des Staates durchsetzen können.

Doch woraus zogen die Menschen die Kraft und den Willen für ihre Kämpfe? Auf diese Frage lacht die Freundin. Ihr Name ist »Amargi«. Er bedeutet »Freiheit«. Sie erzählt, dass mit dem Entstehen der ersten Hierarchien in den Gesellschaften Mesopotamiens auch das Wort »Freiheit« auftrat. Es entstand aus dem Wissen um ein gesellschaftliches Leben in Freiheit, Kollektivität, gegenseitiger Hilfe und der Verbundenheit mit der Natur. »Aus diesem Wissen um ein freies Leben bezogen die Menschen ihren Willen und ihre Kraft zum Widerstand und zum Erkämpfen einer erneuten Freiheit.« Grundlage dafür sei, so sagen unsere kurdischen Genossinnen, dass sich die Menschen ihrem Land, von und auf dem sie leben, und ihrer Gesellschaft verbunden fühlen. Sie nenne dies »Welatparezi«, Verteidigung der Heimat. Und auch für uns InternationalistInnen ist dieser Begriff alltäglich geworden, gehen wir durch die Stadtteile, um genau jene Familien zu besuchen. Doch im Deutschen? Was würde das bedeuten: »Liebe und Verteidigung der Heimat?«

Ende Gelände 2019 – Solidarität mit Rojava

Wir verfolgen die Ende-Gelände-Proteste gegen den Kohleabbau in Deutschland. Menschen, deren Dörfer und damit Zuhause und sozialer Zusammenhang zerstört wird, stehen an der Abraumkante. AktivistInnen klettern in die Bäume des Hambacher Forstes, um ein Stück Natur zu verteidigen. Entschlossen stellen sich AntifaschistInnen in ihren Kiezen der neuen rechten Bewegung entgegen … Es sind diese Bilder und Stimmen, die uns eine Idee davon geben, was »Welatparezi« bedeuten kann.

Wir sind es, die am Ende einer langen Kette in sich verwobener sozialistischer, feministischer, ökologischer, demokratischer und anarchistischer Kämpfe stehen. Wir sind es, die heute das letzte Glied im Kampf um das Land, Gleichheit, Solidarität und Freiheit sind, der die gesamte Geschichte – auch in Europa – durchzog.

Zu unserem Umgang mit dieser Geschichte und unseren Gesellschaften sagt Amargi:

»Die kurdische Bewegung begann sich zu organisieren gegen den Kolonialismus in Kurdistan. Eure Rache für die Geschichte von Kriegen und Vernichtung durch die Deutschen muss es sein, die Gesellschaft gegen den Kapitalismus und Nationalismus zu organisieren und zu verteidigen.«

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