Imperialistische Pläne, diplomatische Spiele, revolutionärer Widerstand – Eine Momentaufnahme der türkischen Invasion in Rojava

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Am 09. Oktober begann die Türkei mit ihrem langangekündigten Angriffskrieg gegen die befreiten Gebiete Nordostsyriens. Nachdem die Vereinigten Staaten von Amerika die Besatzungspläne des AKP-MHP Regimes mit ihrem übereilten Truppenabzug bestätigten, regneten um 16 Uhr Ortszeit die ersten Fliegerbomben auf die Städte und Dörfer Rojavas nieder. Die faschistische türkische Besatzungsarmee und ihre islamistischen Hilfstruppen setzten sich unter dem Feuerschutz der pausenlos donnernden türkischen Artillerie in Bewegung und überschritten noch in derselben Nacht die Grenze. Der Vorstoß der Besatzungstruppen konzentrierte sich vor allem auf die Gebiete in der Umgebung der beiden Städte Gire Spi (Tel Abyad) und Serekaniye (Ras-al-Ain).

Doch der Angriff blieb bei weitem nicht nur auf den kleinen Streifen zwischen den beiden Städten beschränkt. Wahllos wurden Dörfer und Städte entlang der gesamten Grenzlinie zum Ziel der türkischen Artillerie und Luftangriffe. Die Strategie der Türkei war vom ersten Moment des Krieges klar erkennbar. Mit den ersten Angriffen die zeitgleich an der gesamten Grenze erfolgten sollte vor allem die Zivilbevölkerung getroffen und in Angst und Schrecken versetzt werden. Das Leben sollte zum Stillstand gebracht und so die Menschen zur Flucht gezwungen werden. Gezielt wurden Lebenmitteldepots und Kornspeicher, Bäckerreien, Wasseraufbereitungsanlagen, Pumpstationen, Krankenhäuser und weitere kritische Infrastruktur unter Beschuss genommen. Doch wo immer die faschistischen Aggressoren es wagten den freien Boden Rojavas zu betreten, wurden ihre Angriffe mit heftigen Vergeltungsschlägen beantwortet. Die Bevölkerung Rojavas und die Demokratischen Kräfte Syriens standen geschlossen gegen alle Angriffe und leisteten einen historischen Widerstand. Der Feind hatte nicht mit einem derartig heftigen Widerstand gerechnet und die entschlossene Gegenwehr der Bevölkerung und ihrer Verteidigungskräfte brachte den Vormarsch der Besatzungsarmee ins stocken.

Das Regime in Ankara hatte damit gerechnet Gire Spi und Serekaniye in einem Handstreich zu nehmen und sich danach den verbliebenen Gebieten Rojavas zuzuwenden. Konfrontiert mit ihrer eigenen Niederlage und rasend vor Wut über den ungebrochenen Willen der Völker Nordostsyriens, griffen sie mit aller Brutalität und auf barbarische Art und Weise die Zivilbevölkerung an. Mit Luftangriffen und Artillerie wurden hunderte Zivilisten massakriert. Dutzende verbrannten lebendig im Feuer des weissen Phosphors auf Gire Spi und Serekaniye. Unzählige Menschen wurden verletzt und verstümmelt. Doch trotz aller Widrigkeiten leistete das winzige Serekaniye 12 Tage lang heldenhaften Widerstand. Eine Kleinstadt mit ihren gerade einmal 30.000 EinwohnerInnen, brachte die zweitgrößte NATO Armee, mitsamt all ihrer hochentwickelten Kriegstechnologie und Feuerkraft, ins straucheln und das faschistische Erdogan-Regime zum verzweifeln. Abgeschnitten von ausreichendend Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung, ausgestattet lediglich mit leichten Waffen und knapper Munition, hielten wenige hundert mutiger Frauen und Männer gegen die Invasion stand. Die Verteidiger von Serekaniye haben einen Epos des Widerstandes geschrieben der niemals mehr in Vergessenheit geraten wird.

Doch je länger die barbarischen Angriffe der faschistischen Invasoren gegen die Demokratische Föderation Nordostsyriens andauerten, sah die Welt ihre Verbrechen in aller Klarheit. Die Bilder der Hinrichtungen wehrloser ZivilistInnen, unter ihnen auch die kurdisch-syrische Politikerin Hevrin Khelef verbreiteten sich in den internationalen Medien und sorgten für Entsetzen. Die Schreie der verbrannten Kinder Serekaniyes hallten um die Welt und stellten die türkische „Operation Friedensquelle“ vor den Augen der fortschrittlichen Menschheit bloß. Die internationalen Proteste begannen zu wachsen und nach und nach sahen sich die Nationalstaaten Europas und auch die imperialistischen Weltmächte, unter dem Druck ihrer eigenen Bevölkerung, gezwungen, sich zu positionieren. Auch Russland musste in dieser Situation letztlich handeln.

Lange Zeit schon verfolgte Russland die Politik, der Türkei den Boden für ihren Angriff zu bereiten, in der Hoffnung die Revolution von Nordostsyrien, geschwächt vom Kampf gegen die türkischen Besatzer, zur Kapitulation vor Damaskus zu zwingen. Während die Russische Föderation in der Vergangenheit jeglichen Dialog zwischen dem Baath-Regime und der Selbstverwaltung sabotierte, ließen sie mit dem Beginn der türkischen Invasion den Raum für erste Gespräche. Hofften sie doch für sich gute Verhandlungsbedingungen vorzufinden. Auch innenpolitisch Stieg der Druck auf die Regierung Assads, der türkischen Invasion im Norden des Landes Einhalt zu gebieten. So kam es am fünften Kriegstag zu einem ersten militärischen Abkommen zwischen der syrischen Zentralregierung und der Demokratischen Föderation.

Während die westlichen Medien schon in lautesten Tönen das Ende der Revolution und der Selbstverwaltung verkündeten und verzweifelte JournalistInnen, aus Angst vor den angeblich anrückenden Assad-Truppen das Weite suchten, erklärte die Selbstverwaltung, dass das Abkommen der gemeinsamen Landesverteidigung dienen soll. Bevor ein weiterer politischer Dialog über die Zukunft Syriens geführt werden kann, muss zuerallerst die Einheit des syrischen Territoriums gewährleistet sein. Weil ein solcher politischer Dialog nicht unter den Bedingungen einer ausländischen Invasion in Syrien geführt werden kann, steht an erster Stelle die Zerschlagung der Besatzung. Aus diesem Grund hat das militärische Abkommen, trotz der mittlerweile vollständig abgeschlossenen Stationierung der syrischen Grenzschutzeinheiten entlang der gesamten Grenze zur Türkei, keinerlei Auswirkungen auf die Administration oder das Leben der Zivilbevölkerung. Eine schnelle Verlegung von Einheiten der Syrischen Arabischen Armee ließ allerdings auf sich warten und blieb lange Zeit nur auf Gebiete südlich der 30km Zone begrenzt.

Auch die europäischen Staaten begannen sich zu positionieren und verurteilten teils den türkischen Einmarsch verbal aufs Schärfte. Zu entscheidenden Schritten wie einem gemeinsamen Handels- oder Waffenembargo gegen die Türkei konnten sich die Staaten der Europäischen Union dann letztlich aber nicht durchringen. Zu sehr standen dem vor allem die Interessen von Großexporteuren wie der Bundesrepublik Deutschland entegegen.

Blieb es zwar meist nur bei Lippenbekenntnissen und leeren Versprechungen die letztlich nur der Beschwichtigung der kritischen Öffentlichkeit dienten, so stieg dennoch der Druck auf Erdogan und Trump. Selbst innerhalb der us-amerikanischen politischen Öffentlichkeit stand Trump mit seiner Position zunehmend isoliert da und sah sich selbst mit harrscher Kritik auch aus dem republikanischen Lager konfrontiert. Das Regime Erdogans und Bahcelis hatte sich für einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu verantworten, geriet in Erklärungsnot und versuchte verzweifelt mit Lügen und psychologischer Kriegsführung die eigenen Verbrechen zu legitimieren. Um sich aus dieser verzwickten Situation zu befreien und die öffentliche Empörung herunterzukochen entwickelten das Erdogan-Regime und die Administration Donald Trumps einen neuen Plan und verkündeten am neunten Kriegstag einen Waffenstillstand.

Hierbei spielten sich die us-amerikanischen Imperialisten als Unterhändler und Schutzpatron der Revolution von Nordostsyrien auf, die Türkei ließ Gnade walten und verkündete in ihrer großen Güte einen Abzug der Selbstverteidigungskräfte aus dem 120km langen Landesstreifen zwischen Serekaniye und Gire Spi. Donald Trump erklärte sich Kurzerhand zum größten Mitteloststrategen in der Geschichte der Vereinten Nationen und behauptete gar die kurdische Frage gelöst zu haben. Was am Abend des 17.Oktobers über die Bildschirme der Welt flimmerte, war nichts weiter als ein billig abgekartetes Theaterstück, das keinen anderen Zweck verfolgte als die Legitimation der Besatzung. Die Besatzungszone wurde als Stauts Quo anerkannt und die Verteidigungskräfte, die die einzig legitime Kraft in dem Gebiet darstellten, wurden zum Rückzug aufgefordert. Gleichzeitig konnten Trump und Erdogan sich angesicht des Ansturms der kritischen Öffentlichkeit etwas Luft verschaffen und die Medien begannen das Thema runter zu spielen. Die Union der Gesellschaften Kurdistans (KCK) , erklärte als größter Dachverband der kurdischen Befreiungsbewegung, dass der Deal zwischen Trump und Erdogan weder moralisch noch politisch eine Legitimität besitzt und Widerstand die einzige Option ist, die angesichts des internationalen Komplotts, das gegen die Revolution von Rojava und ihre Errungenschaften gesponnen wurde, noch bleibt.

Den Verteidigungskräften der Demokratischen Föderation wurden 120 Stunden Zeit gegeben sich aus den umkämpften Gebieten zurückzuziehen, wobei allerdings die Angaben über das betreffende Gebiet weit auseinander reichten. Während die Selbstverwaltung klar und deutlich erklärte, dass es sich lediglich um die Zone zwischen Gire Spi und Serekaniye handeln kann, versuchten die Vertreter der türkischen Republik die öffentliche Wahrnehmung zu verzerren und sprachen beharrlich von einem 440 km langen Gebiet. Während die Kämpfe in Serekaniye und an allen Fronten weiter mit unvermindeter Härte andauerten und Erdogan voll Hass geladen, immer wieder mit der vollständigen Vernichtung der Föderation drohte, liefen hinter den Kulissen die Verhandlungen zwischen den Imperialisten weiter. Russland übernahm das Steuerrad und sollte den unvollendeten Schachzug der Amerikaner zu Ende bringen.

Für den 22. Oktober lud der russische Präsident den Dikator Erdogan zum Amtbesuch in den Kreml. Die Tagesordnung des Treffens war von vornherein klar und so kam Erdogan reichlich vorbereitet und ausgestattet mit reichlich Kartenmaterial. Die beiden Garantiemächte der Astana Verhandlungen und damit des angeblichen Waffenstillstandes in Idlib, wussten genau was beide von den Treffen erwarten. Am Ende verkündeten sie feierlich eine Einigung, die eine weitere Eskalation des Konfliktes angeblich unterbinden sollte. Auch die Russische Föderation erkannte faktisch die Rechtmäßigkeit der türkischen Präsenz in Nordsyrien und erklärte kurzerhand das Gebiet zwischen Serekaniye und Girespi als eine weitere türkische Besatzungszone, nebst Afrin, Bab und Jarablus westlich des Euphrats. Die Gebiete westlich und östlich sollten laut dem Abkommen, nach einem Rückzug der Demokratischen Kräfte Syriens unter Kontrolle der russischen Militärpolizei und der syrischen Grenzschutzeinheiten gestellt werden. Zu Sicherstellung und Kontrolle des vollständigen Rückzugs der Verteidigungskräfte sollen russisch-türkische Aufklärungspatroullien, die entlang des gesamten Grenzgebietes bis zu 10km ins Landesinnere vorstoßen können, koordiniert und durchgeführt werden.

Um weitere Massaker an der Zivilbevölkerung zu verhindern und der ethnischen Säuberung der gesamten Region Einhalt zu gebieten verkündete die Generalkommandantur der Demokratischen Kräfte Syriens den Rückzug aus dem syrisch-türkischen Grenzgebiet bis auf 30 km und Truppen des syrischen Grenzschutzes begannen ihre Positionen zu beziehen. Während alle regulären Streitkräfte abgezogen wurden verblieben lokale bewaffnete Selbstschutzeinheiten der Bevölkerung sowie die internen Sicherheitskräfte zur Verteidigung der Zivilbevölkerung im Grenzgebiet zurück. Doch trotz alledem stoppten die türkischen Besatzer und ihre dschihadistischen Mörderbanden ihre Offensive nicht einen einzigen Tag. Seit dem Abschluss des Abkommens, ungeachtet der Tatsache, dass die Demokratischen Kräfte Syriens allen Bedingungen Folge geleistet haben, gehen die Angriffe aus der Luft und auf dem Boden ungehindert weiter. Insbesondere die Fronten im Süden und Westen Serekaniyes, in Richtung der Städte Dirbesiye und Til Temir, sowie Nahe der Stadt Ayn Issa, der Hauptstadt der Demokratischen Föderation, werden immer wieder von heftigen Angriffen heimgesucht. Die Besatzer treten jedes Abkommen und jeden Waffenstillstand mit Füßen und lassen keine Gelegenheit ungenutzt um ihre Besatzungszone weiter auszuweiten. Dort wo die Invasoren entgegen der Abkommen, weiter vorstoßen oder die Zivilbevölkerung Opfer ihrer Angriffe wird, schlagen die Demokratischen Kräfte Syriens mit Entschlossenheit und im Rahmen ihres Selbstverteidigungsrechts zurück. Dabei werden sie von Zeiten auch von Verbänden der Syrischen Arabischen Armee unterstützt, die bereits dutzende Male zum Ziel der türkischen Angriffe geworden sind.

Wer die Realität hier auf dem Boden betrachtet und die tagtäglichen Opfer die gegeben werden mit eigenen Augen sieht, der versteht erst was für eine Farce es ist wenn westliche Politiker vom angeblich so grandiosen Erfolg des Waffenstillstandes schwafeln und die Türkei gar für ihr Engagement für den Erhalt des Friedens loben. Der Waffenstillstand ist und bleibt von Beginn an nichts weiter als eine schlechte Lüge, ein dreckiges Spiel und eine falsche Inszenierung der Besatzer und der imperialistischen Mächten hinter ihnen. Selbstverständlich ist ein Waffenstillstand und eine politische und friedliche Lösung des Konfliktes immer weiterem Blutvergiessen vorzuziehen und so zeigt die Befreiungsbewegung natürlich die notwendige Kompromissbereitschaft, doch darf man sein Schicksal niemals in die Hände der eigenen Feinde legen. Deshalb dauern auch auf dem Boden die Vorbereitungen der Verteidigung und die Mobilisierung der Bevölkerung für den revolutionären Volkskrieg weiter an. Denn es gilt weiterhin, dass die tatsächliche Kraft auf dem Boden, die Ergebnisse der Vehandlungen bestimmen wird.

Alles in allem können wir davon sprechen, das mit dem Beginn des türkischen Angriffskrieges eine neue Phase für den revolutionären Prozess in Nordostsyrien begonnen hat. Seit längerem schon spricht die Freiheitsbewegung und ihre verschiedensten Organisationen und Organe, von einem „Internationalen Komplott“ der gegen die Freiheitsbewegung Kurdistans und insbesondere auch gegen die Revolution von Rojava gesponnen wird. Die Besatzungsversuche und gezielten Angriffe in Südkurdistan, der fortdauernde Vernichtungskrieg in Nordkurdistan und der Türkei und zuletzt die Invasion in Rojava sind alle Teile ein und desselben Konzeptes und können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Die Bodeninvasion die nun begonnen hat stellt dabei lediglich die letzte Stufe dessen, was die Feinde der Revolution seit Jahren mal mit Embargo, mal mit politischer Einflussnahme und von Zeiten mit direkter militärischer Gewalt, umzusetzen versuchen. Der Krieg gegen die Revolution von Nordostsyrien und dem Mittleren Osten hat nicht erst mit den 9. Oktober 2019 begonnen, sondern dauert seit Jahrzehnten auf ökonomischem, gesellschaflichem, politischem und militärischem Level unvermindert an. Die Phase definiert sich darüber welcher Aspekt dieses Krieges dominant wird und welche Methoden des Widerstands gefunden werden um darauf zu antworten.

Natürlich mag es einem heute schwerfallen, die Situation auf dem Boden hier und global zu begreifen. Das Chaos das wir vor uns sehen können ist der konkrete Ausdruck dessen, was von der Bewegung schon seit langem als 3.Weltkrieg bezeichnet und analysiert wird. Dabei gibt es heute keine imperialistische Macht die nicht auf die eine oder auf die andere Art und Weise auf dem Boden Syriens vertreten ist und nicht am Wettstreit um die Neuaufteilung des Mittleren Ostens teilnimmt. Wenn wir heute versuchen die politisch-militärische Lage lediglich an Hand der Interessen und der Positonen der imperialistsichen Mächte und der regionalen Regime festzumachen, dann werden wir uns sehr schwer einen Begriff der wirklichen Situation machen können. Um die Geschehnisse wirklich in ihrer Tiefe zu verstehen und auch die Bedeutung des Wortes „Internationaler Komplott“ richtig zu erfassen, ist es notwendig vor allem die Revolution selbst, als eigenständigen Faktor, zwischen dem Machtkampf der Herrschenden nicht außen vor zu lassen. Es ist notwendig eine ideologische Betrachtungsweise zu entwickeln, die es schafft die strategische Dimension dieses Krieges zu erfassen und die Schritte der Staaten nicht nur versucht mit kurz und mittelfristigen ökonomischen und machtpolitischen Interessen zu erklären. Die verschiedenen kapitalistischen Mächte mögen zwar widerstreitende Interessen verfolgen doch gegen die Revolution besitzen sie ein gemeinsames strategisches Interesse.

In der taktischen Analyse sprechen wir von 3 grundlegenden Kräften auf dem Boden, die imperialistischen Interventionsmächte, die Status-Quo Mächte, also die regionalen Regime und drittens die demokratischen Kräfte des Mittleren Ostens, die Frauen, die Jugendlichen, die unterdrückten Völker und Religionsgruppen, die Werktätigen der Region. Die Revolution von Nordostsyrien stellt heute die Vorfront der demokratisch-revolutionären Kräfte der gesamten Region dar. Während es gelang den revolutionären Aufbruch von 2011 im Blut zu ersticken, stellt die Revolution hier die direkte Fortsetzung der Aufstände des Frühlings der Völker dar. Wenn wir also taktisch analysieren so müssen wir klare Unterscheidungen zwischen den einzelnen Mächten und ihren Interessen vornehmen und sie zum Vorteil der Revolution nutzen. Doch betrachten wir die Situation strategisch so müssen wir feststellen, dass es keine 3 Linien sind die existieren sondern tatsächlich nur zwei. Die Linien zwischen Demokratischer Moderne und Kapitalistischer Moderne, zwischen Sozialismus und Kapitalismus, zwischen Revolution und Konterrevolution.

Wenn wir heute die Revolution im Mittleren Osten im Gesamten, die demokratische Föderation in Nordostsyrien im Speziellen und natürlich das mittelfristige Ziel der Errichtung einer vereinten, unabhängigen und demokratisch föderalen Republik Syriens als das grösste Hindernis sämtlicher imperialistischer Politik in der Region betrachten, so lässt sich vielleicht auch das vermeintlich chaotische Handeln der Regierung Trump um einiges besser erklären. Vielleicht spielen manche Schritte der USA derzeit Russland in die Hände, vielleicht verhilft es auch dem syrischen Regime zu einer erneuten Stärkung, was aber zählt für sie ist die Schwächung der Revolution. Kein Schritt den die USA, Russland und auch die Türkei unternehmen, erfolgt heute ohne eine enge Koordination zwischen ihnen. Es gibt einen breiten Konsens unter ihnen darüber, dass der politische Status und das Gewicht der Revolution in den Verhandlungen um eine politische Lösung der Syrienfrage geschwächt werden muss. So ist es kein Zufall, dass der türkische Angriffskrieg genau zu dem Zeitpunkt erfolgt an dem das von den Vereinten Nationen eingesetzte sogenannte Verfassungskomitee versucht, über die Köpfe der Menschen hinweg eine neue Verfassung Syriens zu erarbeiten. Nach acht Jahren blutigen Krieges, der wirtschaftlichen Zerschlagung und Ausplünderung des Landes und der Vertreibung eines Großteils der Bevölkerung Syriens, wollen sie nun erneut den Versuch unternehmen, den Konflikt durch eine Neuaufteilung Syriens entsprechend ihrer Interessen zu beenden. Nach ihren Vorstellungen darf dabei die Vision eines demokratischen, sakulären und föderalen Syriens in diesen Verhandlungen keinen Platz einnehmen.

Das System des demokratischen Konföderalismus besitzt das Potential eine Einheit zwischen den Völkern zu schaffen, die der jahrhundertelangen Politik von Teile und Herrsche ein für alle Mal ein Ende setzen würde. Deshalb ist es notwendig, die Revolution zu vernichten oder zur Kapitulation zu zwingen. Was auch immer sie versucht haben der Revolution in den vergangenen Jahren aufzuzwingen, die Menschen hier haben weiterhin ihre eigene Linie verfolgt. Die Revolution hat sich militärisch gestärkt, der ökonomische und soziale Aufbau wurde weiter voran getrieben und die Revolution hat ihre eigene unabhängige Diplomatie und Außenpolitik entwickelt, was sie zu einem starken Machtfaktor in der Region und auch weltweit hat werden lassen. Sie hat sich nicht dem imperialistischen Diktat gebeugt und so versuchen sie heute mit Hilfe der Türkei die Revolution in die Knie zu zwingen. Der türkische Faschismus stellt dabei lediglich den Hammer dar, mit dem sie versuchen die Revolution zu zerschmettern, doch die Hände die den Hammer führen sind andere.

Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs haben die USA und die NATO immer auf sunnitische Dschihadistengruppen gesetzt und diese diplomatisch, finanziell und militärisch Unterstützt. Der Großteil der sich heute unter dem Namen Syrische Nationale Armee, organisierenden Dschihadistengruppen, genossen in den vergangenen Jahren Ausbildung und Bewaffnung durch die zahlreichen Programme der CIA und des Pentagons. Dass die USA den Weg freigemacht haben für den türkischen Einmarsch, könnte ein erstes Anzeichen dafür sein, dass die USA möglicherweise wieder zu ihrer alten Syrienpolitik von vor 2014 zurückkehren könnten. Konfrontiert mit der nahezu vollständigen Zerschlagung der von der NATO und den reaktionären Golfregimen aufgebauten sog. FSA, dem Aufstieg des außer Kontrolle geratenen Islamischen Staates und einem immer stärker werdenen Einfluss des Irans, der Hezbollah, also der shiitischen Achse, sahen sich die USA gezwungen umzusatteln und begannen mit der militärischen Unterstützung der Befreiungsbewegung. Ihre Hoffnungen auf kurz oder lang politische Kontrolle über das Projekt erlangen zu können, die Demokratischen Kräfte Syriens für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren oder im Zweifelsfall wieder aufzuspalten, wurden bitter enttäuscht. Die Revolution von Nordostsyrien verfolgte auch weiterhin ihre unabhängige Linie des dritten Weges, alle Versuche der USA und der von ihnen geführten Internationalen Koalition, die SDF, gegen die Interessen der Revolution, in eine Konfrontation mit den iranischen Kräfte zu führen wurden abgewehrt und auch die Anstrengungen einer politischen Lösung durch einen Dialog Syrien-Syrien ohne äußere Fremdbestimmung dauerten weiter an.

Die USA sind mit ihrer Politik gegenüber der Revolution in eine klare Sackgasse gekommen. Doch haben die USA parallel dazu niemals ihre Unterstützung für die islamistischen Banden aufgegeben. Als die Türkei im August 2016 mit ihrem Einmarsch in Nordsyrien unter dem Namen Schutzschild Euphrat eine Rettungsaktion für die schwächelnde sog. „syrische Opposition“ startet findet dies auch seitens der USA große Unterstützung. Amerikanische Spezialkräfte unterstützten die türkischen Truppen bei der Übernahme der Stadt Jarablus. Weiterhin bildeten die USA auch islamistische Verbände in der Türkei aus und belieferten diese mit Waffen. Die selbsternannte syrische Interimsregierung, welche den politischen Arm der Banden darstellt, ist auch heute noch von den NATO-Staaten einzig anerkannte „Repräsentation des syrischen Volkes“. Es ist durchaus möglich, dass die USA vor dem Hintergrund ihrer mittelfristigen Interventionspläne gegen den Iran, nun wieder damit beginnen die sunnistischen Islamisten zu stärken. Schon länger wird diskutiert ob die USA nicht daran arbeiten, gemeinsam mit Saudi-Arabien und anderen Staaten, eine antiiranische sunnitische grenzübergreifende Armee aufzubauen. So gab es auch Versuche seitens der Koalition vor allem die arabisch-sunnitischen Teile der Demokratischen Kräfte Syriens im Süden der befreiten Gebiete unter Kontrolle zu bekommen und als eigenständige Proxykraft aus dem Bündnis zu spalten.

Es wird sich zeigen welche Haltung auch die Türkei im folgenden gegen den Iran einnehmen wird. Die USA versuchen eine neue Politik aus den Trümmern der Alten zu gestalten und es wird noch einige Zeit dauern bis einer klarere Linie ersichtlich werden wird. Fakt ist aber, dass mit der Vereinigung der meisten dschihadistischen Milizen in Syrien, zur Nationalen Armee und dem Vorstoß auf die Ostseite des Euphrats, sowohl der Türkei als auch den USA ein großer Schritt gelungen ist, der die bisherigen Kräftegleichgewichte erneut in Frage stellt. Mit der syrischen Interimsregierung, der Nationalen Armee, einer eigenen Polizeikraft, verschiedenen Ministerien die allesamt in der Türkei angesiedelt sind und sogar eigenen Botschaften, z.B in Qatar, wird auf den Aufbau einer staatlichen Struktur abgezielt die den syrischen Zentralstaat nicht nur in seiner Legitimität sondern zukünftig auch militärisch herausfordern kann. Bei Betrachtung dieser Tatsachen, wird auch klar, dass die derzeitigen Verhandlungen zwischen sogenannter Opposition und der syrischen Regierung unter Federführung der UN zum Scheitern verurteilt sind. Bei dem Verfassungskomitee handelt es sich um ein weiteres inszeniertes Theaterstück. Die Interventionsmächte sind weiterhin an einer Eskalation interessiert und so lange die Situation nicht ihren Interessen entspricht, werden sie ihre Politik des Krieges und der Destabilisierung weiter fortsetzen.

Das selbe trifft auch auf Russland zu, und mögen sie sich noch so oft als Bewahrer der syrischen Souveränität, Einheit und Unabhängigkeit inszenieren. Auch sie haben diesen Krieg mit angeleiert und versuchen ihn zu ihren Gunsten zu nutzen. Die Forderungen Russlands nach einer Kapitulation gegenüber dem syrischen Regime sind selbstverständlich nicht akzeptabel und können nicht erfüllt werden. Dabei spielt Russland ein doppeltes Spiel und nutzt die Türkei, sowie die Dschihadisten auch immer wieder als Druckmittel gegen die syrische Regierung um ein permanentes Abhängigkeitsverhältnis zu garantieren. Man darf die russische Einmischung in Syrien nicht als einen Freundschaftsdients gegenüber Assad missverstehen. Auch Russland spielt heute in einer anderen Liga uns sieht sich im Konflikt von zweien lieber als die Dritte Kraft, die über allem steht und über den Ausgang richten wird. In die Rolle die vorher allzuoft von den USA eingenommen wurde, versucht nun heute Russland zu schlüpfen. Russland denkt im globalen Maßstab und so erklärt es sich von selbst, dass das stückchenweise herausbrechen der Türkei aus dem westlichen Machtblock von größerer Bedeutung ist. Al-Bab, Idlib, Afrin und nun Gire Spi und Serekaniye, die Liste der von Russland verkauften Gebiete Syriens ist lang. Gleichzeitig zielt auch der Russische Staat auf die politische Liquidation des revolutionären Projektes in Nordsyrien ab. So spricht Lavrov zwar von der großen Bedeutung der kurdischen Frage, reduziert diese aber lediglich auf eine kulturelle Angelenheit und das Recht auf Muttersprache. Gleichzeitig fordert Russland die revolutionären Kräfte dazu auf in den Verhandlungen mit ihnen und der syrischen Regierung lediglich im Namen der Kurden zu sprechen und die arabischen, assyrischen und turkmenischen Bevölkerungsteile außen vor zu lassen. Die Kurden sollen mit kleinen Rechtsreformen abgespeist und die Einheit der Völker gebrochen werden. Die essentiellen Fragen von lokaler Selbstverwaltung und Dezentralisierung des syrischen Staates sowie der gerechten Verteilung der natürlichen Ressourcen und Reichtümer des Landes, werden noch nicht einmal angeschnitten.

Die Haltung der syrischen Zentralregierung und Bashar-al-Assads zum derzeitigen Krieg kann an aich als positiv bewertet werden. Die kurdische Frage wird als Realität anerkannt, man ruft zum gemeinsamen Kampf, gleich Kurde gleich Araber gegen die Besatzung auf und signalisiert auch Verhandlungsbereitschaft. Doch bleibt es weiterhin von der Haltung Russlands abhängig wohin der zu beginnende Dialog zwischen Selbstverwaltung und Regierung gehen wird. Bisher waren es vor allem äußere Mächte, die diesen Dialog immer wieder torpediert und verhindert haben. Die Selbstverwaltung hat seit 2012 alle Anstrengungen unternommen, gemeinsam mit der der syrischen Regierung eine Lösung zu finden, eine Demokratisierung Syriens einzuleiten und so auf diese Art und Weise den Krieg zu beenden. Doch natürlich ist es auch eine Frage der Kräfteverhältnisse und der Position aus welcher verhandelt wird, ob Assad bereit ist einen ehrlichen, offenen und ernsthaften Dialog zu führen. So ist der Unterton der meisten Stellungnahmen aus Damaskus immer noch der selbe, der der erneuten Unterordnung unter das Regime. Eine Schwächung der Revolution durch die Türkei spielt dabei natürlich Assad in die Karten. Die große Frage ist ob die syrische Regierung letztlich fähig sein wird Weitblick zu beweisen und im Interesse aller syrischern Bürger eine Lösung anstreben wird, oder vom arabischen Chauvinismus geblendet weiterhin auf den Status-Quo vor 2011 beharrt. Auch das syrische Regime muss irgendwann erkennen, dass es der Türkei um weit mehr geht als den angeblichen Kampf gegen den Terrorismus. Es geht um die langfristige Besatzung und Umgestaltung Syriens zu einem türkischen Satelitenstaat.

Dennoch können die ersten Schritte hin zu einer militärischen Verteidigungsallianz als erste positive Schritte interpretiert werden und ebnen den Weg für einen weiteren politischen Dialog.

Wie sich die Geschehnisse weiter entwickeln werden, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Alles in allem ist die Revolution in Nordostsyrien heute mit äußerst großen Gefahren konfrontiert. Aber jede Krise und jedes Chaos was sich entwickelt bringt auch immer wieder neue Chancen mit sich. Klar ist, verschiedene Seiten versuchen die Revolution zu vernichten und niemand ist bereit die Revolution einfach so zu akzeptieren. Die Revolution konnte seit 2011 als die stärkste und siegreichste Kraft aus den Wirren des syrischen Bürgerkrieges hervorgehen. Mit den demokratischen Kräften Syriens ist heute eine revolutionäre Armee entstanden, die sowohl in ihrer Größe als auch in der Strahlkraft im Mittleren Osten bisher keinen Vergleich hatte. Zum ersten Mal in der Geschichte des Mittleren Ostens, nach der Aufteilung des Mittleren Ostens durch die Imperialisten seit den letzten 100 Jahren, kämpfen Kurden, Araber, Assyrer, Turkmenen, alle verschiedenen Bevölkerungsgruppen des Landes, Seite an Seite gegen Imperialismus und Faschismus. Allein dies stellt einen historischen Schritt nach vorne dar. Mehr als 5 Millionen Menschen leben heute seit nun schon sieben Jahren unter dem System der demokratischen Selbstverwaltung und die Idee hinter diesem System breitet sich in alle Richtungen des Mittleren Ostens aus. Auch in anderen Teilen Syriens und des Mittleren Ostens wächst das Interesse, sich mit dem Paradigma der Demokratischen Moderne auseinanderzusetzen. Die Revolution ist zu einem starken und eigenständigen Faktor in der Region geworden und das ist einigen Kräfte ein Dorn im Auge.

Aber wie in jeder Phase der Krise, wird der Ausgang des Chaos letztlich durch das Maß an Organisation, Initiative und Entschlossenheit der einzelnen Kräfte entschieden werden. Je mehr es uns gelingt sowohl hier als auch global den Widerstand auszuweiten, uns stark zu organisieren und entsprechend der Zeit und den Notwendigkeiten wir fähig sind die richtigen Antworten zu geben, desto mehr werden wir als internationale Bewegung den Ausgang dieses Krieges bestimmen. Bis heute ist es und immer wieder gelungen, auch jede Defensive in einen neuen Vorstoß zu verwandeln. Kobane ist dabei als glänzendes Beispiel allen noch in bester erinnerung. Die Schlacht die in Kobane begann wurde mit dem Sieg in Baghouz und der vollständigen territorialen Zerschlagung des Kalifats zu Ende gebracht. Auf dieselbe Art und Weise wird es uns gelingen diese Bedrohung in einen weiteren Sieg zu verwandeln. Eine jede Revolution bewegt sich auf dem schmalen Grad zwischen neuen Siegen und der totalen Vernichtung. Wichtig ist nicht die Hoffnung zu verlieren und stattdessen die Möglichkeiten zu ergreifen, die neue Gefahren mit sich bringen. Die globale Widerstandsbewegung trägt natürlich einen sehr sehr großen Teil dazu bei, die Revolution zu einem entscheidenden Faktor werden zu lassen. Vielleicht ist die globale Widerstandsbewegung derzeit noch nicht dazu in der Lage, den Krieg zu stoppen, ihn zu verhindern oder auszubremsen, dennoch stellt sie einen eigenständigen Faktor dar, der heute die Politiken der Herrschenden aufdeckt, durchkreuzt und auch angreift. Der Widerstand, der in den Metropolen der imperialistischen Ländern Tag für Tag geleistet wird stärkt der Revolution in den Verhandlungen den Rücken. Wenn es uns gelingt den Kampf der Bevölkerung hier mit dem Widerstand in den Metropolen zu einem handelnden Subjekt zu vereinen, dann wird auch der letzte Plan der Herrschenden ins Leere laufen und die Revolution siegreich aus diesen Tagen hervorgehen. In diesem Sinne gilt es, den Widerstand nicht abreißen zu lassen und dem Spezialkrieg der Staaten keinen Platz in unseren Köpfen und Herzen einzuräumen.

Der Krieg ist nicht zu Ende und die Revolution wird weiter kämpfen. Die dreckige Politik der imperialistischen Staaten und ihre Kollaboration mit dem türkischen Faschismus darf nicht ungestraft bleiben. Vielleicht versuchen sie, das Blut von ihren Händen zu waschen, doch wir wissen, wo die Schuldigen dieses Krieges zu finden sind. Wir wissen, wer diese Verbrechen zu verantworten hat.

Aus der Demokratischen Föderation Nordostsyrien grüßen wir alle, die in den vergangenen Wochen auf den Straßen waren, den Normalbetrieb blockiert und gestört haben und die nicht aufhören werden die herrschende Politik anzuprangern. Auch wenn manche es gerne so hätten, dieser Kampf ist noch nicht vorbei, sondern hat gerade erst begonnen.

Die Revolution in Nordostsyrien wird siegen, der Faschismus zerschlagen werden.

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