Ein Artikel des Ecuatorianischen Journalist und Soziologe Carlos Pazmiño.
Die Bedrohung durch den globalen Kapitalismus erzwingt, dass die Anstrengungen der Revolutionäre eine internationale Dimension annehmen. Ein revolutionärer Prozess in Kurdistan oder Lateinamerika wird nicht triumphieren können, wenn die imperialistischen Zentren nicht besiegt oder zumindest geschwächt werden. Diese Tatsache veranlasst uns über den internationalen Charakter der Revolution nachzudenken, die Notwendigkeit des Programms, die Taktik und Strategie, die Position, die die revolutionären Minderheiten in verschiedenen Ländern einnehmen, sowie eine korrekte Lesart der Korrelation der regionalen, nationalen und globalen Kräfte. Leider berücksichtigt ein großer Teil der Revolutionäre auf der ganzen Welt nicht diese Elemente der Analyse und enden als vereinzelte „Aktivisten“, Menschen ohne eine politische und soziale Struktur die imstande wäre in der Realität zu intervenieren, meistens verleitet von ihrem Individualismus und dem Wunsch anderen zu „helfen“¹. In der Praxis demobilisiert dieses Verhalten ihr revolutionäres Potential und reduziert ihren „Aktivismus“ zu einem „Lifestyle“, in dem der Konsum von verschiedenen Produkten, die Entwicklung von Formen liberalen – und angeblich „ethischen und revolutionären“ – Zusammenwohnens, jede Möglichkeit des Handelns stilllegen. So reduzieren sie ihr Interesse daran “die Welt zu verändern” auf eine zynische und in vielen Fällen koloniale Weise, Politik und Revolution zu verstehen.
Abdullah Öcalan weist sehr deutlich darauf hin, dass die kapitalistische Moderne in der Lage war, die fortschrittlichsten Werte und Ideen zu kapern, sie zu kolonisieren, sie in Produkte des Massenkonsums zu verwandeln und oft zu Verbündeten der Konterrevolution zu machen. Der kurdische Repräsentant hat diese korrekte Kritik in Anbetracht des Verfalls und der zunehmend marginalen Situation der modernen Linken entwickelt, vom Anarchismus über den etatistischen Marxismus bis hin zum liberalen Feminismus, unter anderen Ausdrucksformen, die sich allmählich vom Volk distanzieren und sich stattdessen in Universitäten, Cafés und Clubs niedergelassen haben, aus denen sie über die Revolution nachdenken, sprechen und diskutieren, aber wenig oder nichts dafür tun.
Die kolonisierende und demobilisierende Wirkung der kapitalistischen Moderne auf die moderne Linke drückt sich auch aus einer weißen westlichen Perspektive in Form einer “Faszination der Armut” und des “Wilden” bestimmter Gesellschaften, wie der kurdischen oder lateinamerikanischen, aus. Diese problematische Art, den Anderen, seine Geschichte und seinen Platz in der Welt zu verstehen, übertragen auf das Gebiet des Internationalismus, ist höchst besorgniserregend, umso mehr wenn Revolutionäre, die den Kämpfen der “Dritten Welt” “helfen” oder sich mit ihnen “solidarisieren” wollen, nicht die wahre Rolle verstehen, die sie selbst in der Revolution spielen müssen, sei es in ihrem Land oder in unseren.
Es ist verständlich, dass die Revolutionäre der Länder der sogenannten „ersten Welt“ eine solche Beziehung zu den aktuellen Prozessen in der „Dritten Welt“ entwickeln, weil die kapitalistische Moderne die Vielfalt ihrer Gesellschaften zerstört und sie zu eigenartigen Gesellschaften unter dem Paradigma des weißen Mannes verwandelt hat, in denen scheinbar jedes revolutionäre Aufbegehren im Keim erstickt wird oder „schwieriger“ ist als andernorts. Diese Revolutionäre haben – scheinbar – vergessen, dass sie mittels brüderlicher Kritik und Selbstkritik dazu verpflichtet sind, darüber nachzudenken, dass ihre „Hilfe“ und „Solidarität“ oft keine organisatorische, politische, soziale Unterstützung im Volk ihrer Herkunftsländer hat, so dass sie in vielen Fällen zu einer Belastung oder Behinderung für Menschen verwandeln, denen sie “helfen” wollen. In einem Interview aus dem Jahr 2017 im Web-Portal Kurdish Question, hat ein westlicher anarchistischer Freiwilliger in der YPG auf die Bedeutung hingewiesen, die der „westliche“ Internationalismus gegenüber die Revolution Rojava haben muss: „Viele kurdischen Freunde haben mir in verschiedenen Situationen das Selbe wiederholt: „Geh zurück zu deinem Volk setze den gleichen Kampf dort fort!“, „Wir brauchen keine westlichen Märtyrer, wir brauchen eine Revolution in den westlichen Ländern.“² Diese Form der Betrachtung oder “Hilfe” in Bezug auf die revolutionären Prozesse, die in der Peripherie stattfanden, ist nicht aber nicht das alleinige Merkmal der Revolutionäre des Westens. Sie ist auch unter jenen aus und in der „Dritten Welt“ präsent, die vermittelt durch die kapitalistische Moderne die selbe Perspektive entwickeln, nur dass sie hier auf die Beobachtung ähnlicher Widersprüche in ihren Herkunftsgesellschaften übersetzt wird, ohne für die Transformation ihrer Umgebung Partei zu ergreifen. Dieser Akt ist noch zynischer als der westliche Internationalismus, weil er nicht in der Lage ist, ähnliche Existenz- und Kampfbedingungen zu erkennen – oder zu wollen -, für die wir in den Peripherieländern alle einstehen sollten. In keiner Weise versucht dieser Artikel, “rassistisch” oder “ethnisch” voreingenommen gegenüber der Aktion von Revolutionären aus dem Westen oder der Dritten Welt zu sein, die durch koloniale oder bewundernde Blicke gegenüber dem Kampf des kurdischen Volkes geprägt sind. Der Versuch ist vielmehr aus einer lateinamerikanischen Perspektive im Dialog mit dem kurdischen Volk zu zeigen, wie unsere Völker allzu oft zu Objekten der Forschung, des Aktivismus oder der Faszination für Revolutionäre geworden sind, die noch nicht die komplexe Herausforderung verstanden haben, welche die Organisation der Revolution aus nationaler, regionaler und globaler Perspektive darstellt. Der Widerstand gegen den Kapitalismus, das Patriarchat und den Nationalstaat kann nicht vom individuellen Willen ausgehen, sondern nur von der Organisation, Planung und dem entschiedenen Einsatz der Revolutionäre – in Lateinamerika benutzen wir noch den Begriff „Kader“ – für die Revolution. Dafür brauchen wir die Entwicklung praktischer kollektiver Fähigkeiten, die einen höheren Horizont als den der kapitalistischen Moderne verwirklichen können.Die Revolutionäre, die nach Kurdistan reisen, um die Revolution kennen zu lernen, die die Ideen von Abdullah Öcalan studieren oder sich mit dem kurdischen Volk solidarisieren, müssen sich ernsthaft verpflichten, die Revolution in ihren Ländern zu organisieren, und diese als Prozess auf globaler Skala verstehen. Triumph oder Niederlage der kommenden Revolutionen werden davon abhängig sein, ob der Internationalismus wieder verstanden wird, wie er in seinen Anfängen verstanden wurde. Der Kampf für die Befreiung der Menschheit vom Joch des Kapitalismus erfordert einen globalen Artikulationsprozess, in dem jede und jeder in organisierter Weise ihre/seine Rolle spielen muss. Der beste Weg, den enormen Opfern, die das kurdische Volk auf dem Weg in eine Zukunft jenseits des Kapitalismus macht, Tribut zu zollen, besteht darin sich zu organisieren und sich der Revolution zu verpflichten.
¹ Ich benutze den Begriff “Hilfe” um ein Verhältnis der Unterordnung zwischen zwei Parteien zu kennzeichnen.
² Experiences in Rojava: Interview with an anarchist YPG volunteer. http://kurdishquestion.com/article/3865-experiences-in-rojava-interview-with-an-anarchist-ypg-volunteer